Cocktailzutaten: Selbst machen oder selbst kaufen?
Die moderne Bar und die Balance zwischen Handwerksstolz und Effizienz.

Im Laufe der Zeit hat sich meine Sicht auf die Dinge natürlich geändert. Für mich ist es längst nicht mehr verblüffend, welche Skills und Techniken heutzutage gang und gäbe sind und was ich alles herstellen kann. Säfte, Sirups, Fermente, Destillate, Cordials; die Liste geht nahezu unendlich weiter. Dennoch… wenn ich an all meine Drinks der vergangenen Jahre denke, wird mir eine Tatsache mehr und mehr bewusst:
Vieles habe ich nur deshalb selbst gemacht, weil ich es konnte – und weil ich glaubte, dass es von mir erwartet wird. Dabei waren es oft weniger die Gäste, die auf hausgemachte Komponenten bestanden, als mein eigenes Ego und mein Selbstanspruch. Ich fragte mich deshalb immer öfter, ob ich mir das Leben manchmal nicht unnötig schwer mache. Kann ich eine Zutat wirklich besser machen als Firma XY? Sind selbstgemachte Zutaten immer günstiger oder kostet meine Arbeitszeit das Unternehmen eventuell mehr, als wenn man ein fertiges Produkt kaufen würde?
Jeder weiß, dass man fertig abgefüllten Limettensaft ohne weiteres beziehen kann - keine schwankende Qualität, kein stundenlanges Pressen. Warum ist dieser gekaufte Saft dann ein Garant dafür, dass ich in einer Bar kein Getränk bestellen werde, welches auch nur einen Hauch bartechnisches Grundverständnis voraussetzt?
All diese Möglichkeiten, gepaart mit Branchenstandards und konstantem Social-Media-Input können schon manchmal dazu führen, dass man die Küche vor lauter Messbechern nicht mehr sieht. Deshalb soll sich dieser Artikel darum drehen, welche Zutaten man selbst machen und welche man kaufen sollte.
Für jedes Produkt eine pauschale Antwort auf diese Frage zu finden ist nahezu unmöglich. Deshalb habe ich für mich einige simple Guidelines entwickelt, die unabhängig von Zutatenkategorien (Sirup, Destillat, etc.) funktionieren. Bei jedem Drink-Rezept beginnt für mich die Reise mit einer einfachen Frage:
Gibt es die gewünschte Zutat in guter Qualität auf dem Markt?
Es ist erstaunlich, was man alles kaufen kann: Rosenblütensirup? Klar! Kardamomdestillat? Logo! Fermentierten Ingwer? Auf jeden Fall! Alleine der Ausflug in die Bio-Abteilung des nächstgelegenen Supermarktes macht es für mich schwer vorstellbar, dass ich jemals bei einer Competition teilgenommen habe und daran verzweifelt bin, dass ich keine hausgemachten Komponenten verwenden durfte. Aber natürlich gibt es Ausnahmen und man muss immer den Geschmack berücksichtigen. Zum Beispiel glaube ich nicht, dass ich allein mit der Meinung bin, wenn ich behaupte, dass zuvor erwähnter Limettensaft absolut furchtbar schmeckt. Aber da ich, auch abgesehen von Zitrussäften, nach wie vor viele Dinge selbst mache, kann diese erste Frage natürlich nicht ausreichen, um zu einer befriedigenden Antwort zu führen. Also frage ich mich im Anschluss:
Entspricht das gekaufte Produkt nicht nur meinen Qualitätsstandards, sondern ist es zudem preiswert und durchgehend verfügbar?
Klar wissen wir alle, dass man Ende August keinen neuen Drink mit frischer Wassermelone kreiert. Aber es sind auch andere Faktoren zu berücksichtigen. Wenig kann einen mehr auf die Palme bringen, als sich auf einen schwindligen Lieferanten verlassen zu haben, der dein extrem nischiges Produkt, zwei Wochen nachdem du deine Karte gelauncht hast, aus dem Sortiment nimmt oder die Preise derart anhebt, dass deine komplette Kalkulation im Eimer ist. Für mich ist es ein Zeichen dafür, dass ich lieber selbst Hand anlegen sollte, wenn mir meine Bezugsquelle Verfügbarkeit und Preis nicht über die durchschnittliche Laufzeit einer Karte garantieren kann. Falls das aber der Fall ist… super! Ich habe also ein qualitativ hochwertiges Produkt gefunden, welches ich durchgehend bekomme und welches nicht zu teuer ist. Somit habe ich eine Möglichkeit gefunden, meinen Drink zu realisieren.
Aber sind wir damit schon am Ende angekommen? Natürlich nicht. Es gibt dutzende Zutaten, die diese Kriterien erfüllen, bei denen es sich mir aber trotzdem nicht erschließt, sie zu kaufen. Zum Beispiel fällt mir beim besten Willen kein Grund ein, warum ich Zuckersirup beziehen sollte. Welche abschließende Frage stelle ich mir also?
Kann ich meine beziehbare Zutat in gleicher oder besserer Qualität machen und kommt mich das eventuell sogar günstiger?
Das ist die Kontrollfrage, die ich mir immer stelle, wenn ich darüber nachdenke ein bestimmtes Produkt zu beziehen. Ich kann gute Cordials kaufen, aber diese werden selten die gleichen geschmacklichen Ergebnisse erzielen, wie es hausgemachte Cordials aus hochwertigen Zutaten tun. Ich kann ein vernünftiges Orgeat kaufen, jedoch habe ich noch nie eins gefunden, welches qualitativ auch nur ansatzweise an mein eigenes herankommt.


Das ist ein wichtiger Punkt, schließlich wollen wir unseren Gästen nicht nur gute, sondern die bestmögliche Qualität bieten. Deshalb hilft mir dieser abschließende Schritt dabei, zu evaluieren, ob meine Berufserfahrung es mir erlaubt, hochwertigere Alternativen zu gekauften Produkten herzustellen.
Allerdings funktioniert diese Frage auch in umgekehrter Richtung. Sie zwingt mich zu hinterfragen, ob es sich auch lohnt eine Zutat zu produzieren.
Klar bin ich überaus dankbar dafür, dass ich immer wieder Vorgesetzte hatte, die mir erlaubt haben zu experimentieren und meine Skills zu erweitern. Aber ein eventuell sogar geglücktes Experiment ist nicht mit einer funktionierenden Zutat für einen Drink gleichzusetzen.
Bei all dem Eigenlob, zu dem ich von Zeit zu Zeit tendiere, ist mir trotzdem bewusst, dass auch meine Fähigkeiten ihre Grenzen haben und dass es oft wichtig ist, den eigenen Wissensstand und die eigenen Möglichkeiten kritisch zu hinterfragen.
Natürlich kann ich mir ein paar Zitronen und eine Flasche Vodka besorgen und einen vernünftigen Limoncello ansetzen. Ich kann es aber auch sein lassen und ein Produkt einer Destillerie verwenden, die seit Jahrzehnten aus den besten Zitronen Siziliens wunderbare Liköre herstellt. Lasst es mich auf die Spitze treiben: Bloß weil ich theoretisch dazu in der Lage bin einen eigenen Whisky herzustellen, würde ich niemals auf die Idee kommen es zu tun. Ich werde es nicht schaffen, ein auch nur ansatzweise vergleichbares Resultat zu erzielen, wie eine Destillerie, die in der siebten Generation Whisky brennt.
Wenn ich eine bessere Alternative produzieren kann, ist das optimal. Wenn nicht, dann ist es auch absolut ok ehrlich zu sich selbst zu sein. Wir sind Profis und keine Kinder, die von ihren Eltern extra Credit für ein selbstgemachtes Weihnachtsgeschenk bekommen. Der Gast hat nicht vor sich den Cocktail an die Kühlschranktür zu pinnen. Er erwartet, dass er für 15 Euro aufwärts einen stabilen Drink bekommt.
Dieser Punkt wird erst recht kritisch, wenn die Produktion von Zutaten mit hohen Kosten verbunden ist.
Abgesehen davon, dass man gerade bei komplexen Rezepten immer daran denken sollte, dass die Arbeitszeit auch Geld kostet, lohnt sich auch die Anschaffung teurer Gerätschaften für ein oftmals mittelmäßiges Resultat nur bedingt.
Beispielsweise ist das Arbeiten mit Vakuumdestillation eine spannende Sache und man kann einige coole Dinge damit anstellen, die anders nicht realisierbar wären. Aber die Fälle, in denen es sich lohnt, sich diese teure und lernintensive Apparatur anzuschaffen sind äußerst begrenzt. Wer darüber nachdenkt, es dennoch zu tun, sollte ein ganz klares Drinkkonzept im Kopf haben, für welches diese Investition unerlässlich ist. Willst du bloß einen Rotationsverdampfer, damit du dir zuvor erwähntes Kardamomdestillat herstellen kannst, um dann auf deiner kommenden Karte einen Dash davon in einen deiner Drinks zu machen, empfehle ich dir, das Zeug lieber für nen Zehner beim nächsten Kräuter- und Gewürzladen zu besorgen.
Ähnliches gilt für andere Investitionen. Die Anschaffung einer Zentrifuge habe ich damals leider nicht dadurch rechtfertigen können, dass ich damit in der Lage gewesen wäre Säfte zu klären, da es hierzulande unzählige Saft-Manufakturen gibt, die hochwertige und erschwingliche Produkte produzieren.
Fassen wir also zusammen:
Gibt es das Produkt in guter Qualität auf dem Markt? Wenn ja, ist es bezahlbar und durchgehend in den von mir benötigten Mengen verfügbar? Ja? Toll! Dann muss ich bloß noch schauen, ob ich es selbst nicht vielleicht doch besser und günstiger herstellen kann.
Mir ist bewusst, dass dies für viele sowieso schon der gewohnte Ansatz ist, die Dinge handzuhaben, aber ich kann mir vorstellen, dass es vielleicht Menschen gibt, die wissenstechnisch davon profitieren könnten, wenn sie sich die Frage stellen, ob man unbedingt ein Fertigprodukt benutzen muss, oder ob man nicht lernen könnte eine bessere Version davon zu produzieren. Auf der anderen Seite denke ich, dass gerade der vermeidliche Druck aus der Szene dazu führen kann, dass die ein oder andere Person an der Kreation eines potentiell großartigen Drinks scheitert, nur weil sie sich einbildet, alles selbst machen zu müssen. Zumindest ging mir das eine lange Zeit so.
Um es in den Worten von Ian Malcolm zu sagen: Wir sind zu sehr damit beschäftigt, was wir tun können und halten zu selten inne um uns zu fragen, was wir tun sollten.
Cheers!
Edit: Mir ist bewusst, dass viele Zutaten durch Alternativen ersetzt werden können (z.B. Sirup = Likör + Zucker). Allerdings habe ich mich dazu entschlossen, mich in diesem Artikel nicht auf alternative Zutaten zu beziehen, da dies sonst den Rahmen sprengen würde und ich zum Thema Komponentensubstitution noch ein gesondertes Projekt geplant habe. Stay Tuned!



