von Daniel Huggins
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27. November 2024
Was ist dein Lieblingscocktail? Eine Frage, die wahrscheinlich nicht nur ich im Laufe meiner Karriere schon unzählige Male gestellt bekommen habe. Wenn ich etwas Erfrischendes möchte, ist es der Daiquiri. Wenn mir nach etwas Eleganterem ist, dann ganz klar der Martini. Gin. Verhältnis 3:1. Keine Garnitur. Wenn es aber darum geht, welcher Drink mich am meisten fasziniert, dann ist es ganz klar der Zombie. Ja, ihr habt richtig gelesen. Mir ist bewusst, dass dieser Drink jetzt nicht wirklich in diese Liste passt. Daiquiri und Martini leben beide von ihrer Simplizität. Der Zombie ist alles, aber nicht simpel! Obwohl sich der Zombie langsam aber sicher von seinem Ruf als kitschiges Rum-Saft-Gepansche erholt, sehe ich noch immer verdutzte Blicke, wenn ich ihn als einen meiner Lieblingsdrinks aufzähle. Und das kann ich den Menschen nicht einmal verübeln. Tatsächlich ist der Zombie für mich aber nicht nur das Paradebeispiel dafür, wie gut sich Menschen mit Aromatik auskennen können, sondern dient für mich als Blaupause des Tiki Genres. Ein Genre, das mich bis heute fasziniert. Um zu verstehen, was der Zombie für mich repräsentiert, sollten wir uns etwas näher mit seinen Ursprüngen beschäftigen. Er wurde 1934 von Tiki-Legende Donn Beach AKA Donn The Beachcomber kreiert. Damit zählt er nicht nur zu den populärsten, sondern auch zu den ältesten noch heute existierenden Tiki-Drinks. Angeblich kreierte ihn Donn Beach spontan für einen Freund, der seinen Kater loswerden wollte – sozusagen von den Toten wieder auferstehen wollte. Schöne Geschichte, jedoch weiß man nicht, ob sich das exakt so abgespielt hat. Was sich allerdings mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass der Cocktail sich schon bald so großer Beliebtheit erfreute, dass allein dieser Drink maßgeblich zur Popularität des Tiki-Genres beigetragen hat. Und dass, obwohl es nur einen Menschen gab, der ihn mixen konnte. Wie einigen bereits bekannt ist, so umgaben die frühen Tiki-Größen, allen voran Donn The Beachcomber, sich und ihre Drinks mit einer Menge Mystery. So sehr, dass es aus heutiger Sicht fast lächerlich wirkt. Das Rezept eines Drinks so effizient wie möglich in Umlauf zu bringen, scheint der erste logische Schritt, hat man es darauf abgesehen, seine Kreation zu einem Klassiker avancieren zu lassen. Aber das war nicht das Ziel. Es ging darum, dass die Menschen zu dir kommen mussten, wollten sie einen bestimmten Drink haben. Um dies sicherzustellen, ergriff Beach drastische Maßnahmen. Niemand erfuhr das Rezept des Drinks, nicht einmal die eigenen Angestellten. Man wollte schließlich nicht, dass wenn jemand das Unternehmen verlassen sollte, diese Person den Drink anderorts replizieren kann. Paranoid? Vielleicht. Effizient war diese Vorgehensweise nichtsdestotrotz. Die Frage ist nur: Wie soll man einen Drink mixen, wenn man das Rezept nicht kennt? Ganz einfach: indem man spezielle Zutaten kreiert, diesen Codenamen gibt und den Bartenderinnen und Bartendern lediglich sagt, wie viel sie von dieser Geheimzutat zu verwenden haben. So clever Beach sich damals dafür auch gehalten haben mag; das war jedoch der erste Dominostein dafür, dass später einmal der Ruf des Zombies beinahe zerstört werden sollte. Denn nur weil man die genauen Zutaten nicht kannte, hat man sich natürlich trotzdem nicht davon abhalten lassen, zu versuchen, diesen Drink nachzubauen. Jeder wollte schließlich einen Zombie auf der Karte stehen haben. So entstanden in kürzester Zeit dutzende Versionen ein und desselben Drinks. Ach ja, und „Consulting“ gabs da ja auch noch. Es wird niemanden verwundern, dass Beach als einer der bekanntesten Bartender seiner Zeit unzählige Anfragen bezüglich Cocktailmenüs und Barkonzepten bekam. Und wenn der bekannteste Tiki Bartender neben Trader Vic deine Cocktailkarte schreibt, dann willst du natürlich auch seinen bekanntesten Drink da draufstehen haben. Weil Beach das Originalrezept aber nicht verraten wollte, kreierte er selbst über die Jahre ein gutes Dutzend Variationen seines eigenen Drinks. Sodass man sich sicher sein konnte, dass wenn man irgendwie, irgendwo ein Zombierezept in die Finger bekam, es mit 99,99999%er Wahrscheinlichkeit nicht das Originalrezept war. Da man sich nun in der Situation befand, dass der Zombie zwar einer der beliebtesten Cocktails seiner Zeit war, aber niemand das Rezept kannte, wundert es auch nicht, dass irgendwann alles, was möglichst viel Rum enthielt und irgendwie exotisch wirkte als Zombie durchging. Und das wiederum sorgte dafür, dass der Zombie über die Jahrzehnte vom beliebtesten, zum verrufensten Tiki-Drink wurde. Und das nicht nur außerhalb der gehobenen Barszene, sondern vor allem innerhalb unserer kleinen Bubble. Und ich muss gestehen, als ich mich das erste mal mit diesem Drink im Zuge meiner beruflichen Laufbahn auseinandersetzte, war auch ich eher skeptisch. Zumindest bis ich das erste Mal das Originalrezept las. Aber… warum gibt es überhaupt ein Originalrezept? Naja, natürlich dank Jeff „Beachbum“ Berry! Wem auch sonst? Tiki-Experte und Autor Jeff Berry hat mehr für das Revival dieses Genres getan als irgendjemand sonst. Und Berry war es auch, der es nach jahrelangen Bestrebungen irgendwann tatsächlich schaffte, ein Original Zombie Rezept in die Finger zu kriegen. 1934 Zombie: 4,5cl puerto-ricanischer Rum 4,5cl jamaikanischer Rum 3cl Overproof Demerara Rum (Guyana) 1,5cl Falernum 1,5cl Donn’s Mix 2,25cl Limettensaft 1 Barlöffel Grenadine 1 Dash Angostura 6 Tropfen Pernod Jetzt ist es so: man kann sich natürlich erstmal selbst dafür feiern, ein Rezept entdeckt zu haben, welches seit über einem halben Jahrhundert als verschollen galt. Man kann sich aber auch übertrieben darüber aufregen, dass man keine Ahnung hat, was zur zugefrorenen Hölle „Donn’s Mix“ sein soll. Ich schätze Jeff Berry tat beides. Zum Glück, denn das führte dazu, dass er weitergrub, bis er eines Tages die Lösung in den Händen hielt. Bei Donn’s Mix, der ominösen Geheimzutat Beachcombers, handelte es sich um zwei Teile weißen Grapefruitsaft und einen Teil… Spices No.4. Ich versetze mich gerade in Berrys Lage und sehe mich dabei, wie ich mit einem puppenhaften lächeln und leeren, toten Augen meinen Laptop so hart gegen die nächste Wand werfe, dass ich in Zukunft meinen Nachbarn beim Frühstücken zusehen kann. Wie dem auch sei. Zu unser aller Glück hat Berry mehr Geduld als ich und zum Glück zahlte sich diese auch aus. Als Berry nämlich irgendwann herausfand, dass sich hinter Spices No.4 nichts anderes als Zimtsirup verbarg, war man das erste mal in der Lage, ein Original Zombie zu mixen. Das war aber nicht alles. Unter allen Zombierezepten, die zu finden waren, gibt es eines, welches durch Berrys Fund schlagartig mehr Aufmerksamkeit erlangte: Zombie (unbekannter Ursprung) -2,25cl Aged jamaican Rum -2,25cl Demerara Overproof Rum -2,25cl puerto-rican Rum -2,25cl Limettensaft -2,25cl weißer Grapefruitsaft -2,25cl Zimtsirup -1 Dash Angostura Bitters -1 Barlöffel Zombie Mix* *Zombie Mix: gleiche Teile Falernum, Dry Curacao, Grenadine, Absinth o. Pastis Wenn man diese Rezepte vergleicht, nachmixt und parallel probiert (was ich jedem einmal empfehlen würde), dann wird einem etwas auffallen. Die zweite Version, deren Ursprung man heute bei Donn Beach selbst vermutet, ist weniger eine Abwandlung, als vielmehr eine Art „natürliche Weiterentwicklung“ des Originalrezepts. Die Zutaten sind beinahe dieselben, allerdings ist das Geschmacksprofil klarer und ausgeglichener und obwohl es sich hier noch immer um einen starken Drink handelt, ist der Alkoholgehalt zumindest nicht mehr so komplett gestört wie in der 1934er Version. Deshalb halte ich die zweite Version für die beste. Wenn ich nun also behaupte, der Zombie sei mein Lieblingscocktail, meine ich diese Version. Allerdings kann man alle folgenden Aussagen, auf beide Versionen beziehen. Schauen wir uns mal an, warum ich diesen Drink für so genial halte: Der Zombie zeigt, wie Tiki Drinks funktionieren, und worum es dabei geht. Ich wage es mal, mich ganz weit aus dem Fenster zu lehnen und zu behaupten, dass es die Tiki Bewegung war – insbesondere Donn Beach – die als erste verstand, wie man das breite Publikum und Cocktailnerds gleichermaßen abholt. Auf den ersten Eindruck ging es um Eskapismus, tropisch-spaßige Drinks und exotischen Genuss. Man kann nachvollziehen, warum das großen Anklang bei der breiten Masse fand und was ich selber davon halte, habe ich in meinem Artikel über Cocktailschirmchen ja bereits deutlich gemacht. Unter der Oberfläche geht es bei Tiki aber noch um etwas ganz anderes: Komplexität. Der Zombie zeigt nicht nur, wie viel Gedanken sich Beach über seine Drinks gemacht hat, sondern auch, welch außergewöhnliches Verständnis er von Aromatik hatte und wie weit er damit seiner Zeit voraus war! Hört sich übertrieben an? Ich glaube ich sollte das etwas genauer erläutern: Wie die meisten Tiki Drinks, so basiert auch der Zombie auf der uralten Punch-Formel: eine Spirituose eine süße Zutat eine saure Komponente ein Filler Letzterer kann Saft oder Soda sein, im weiteren Sinne aber auch Schmelzwasser. Wahlweise können diese vier Grundzutaten nun durch Gewürze und/oder Bitters ergänzt werden. Und jetzt wird es spannend. Und nerdig. Aber vor allem spannend! Dieser simplen Formel wird bei Tiki Komplexität verliehen, indem man die einzelnen Komponenten in mehrere aufsplittet. Was meine ich damit? Nun, sehen wir uns den Zombie doch mal an: Die Spirituose wird aufgesplittet in drei verschiedene Rum-Sorten. Statt nur einen Rum zu verwenden, verwendet man einen Rum aus Jamaika, der mit seinem funky Geschmacksprofil die Basis bildet. Dieser wird ergänzt durch einen puerto-ricanischen Rum, der mit seinem vergleichsweise neutraleren Geschmacksprofil dafür sorgt, dass der Rum nicht alle anderen Zutaten überschattet, wie das der Fall wäre, würde man 6 bzw. 9cl Jamaika-Rum verwenden. Der Rum aus Guyana ergänzt die Basis, indem er eine schöne Kante beisteuert. Durch das typischerweise sehr würzige, fast schon rauchig-erdige Geschmacksprofil von Demerara Rum (Guyana) eignet sich dieser perfekt dafür. Die Säure wird aufgesplittet in Limettensaft und weißen Grapefruitsaft. Letzterer hat zwar eine deutlich mildere Säure, dafür aber einige spannende Bitternoten und eine angenehme Fruchtigkeit. Sieht man sich nun die bekanntesten Tiki Drinks an, so wird einem oben beschriebenes Muster immer wieder auffallen. Was dafür für ein Verständnis seiner Zutaten, insbesondere der verschiedenen Rumstile, von Nöten ist, brauche ich wahrscheinlich niemandem zu erklären. All diese Gedanken stecken hinter einem Zombie. Und das zu einer Zeit, als man in Europa einen Sidecar mit Gin anstelle von Cognac machte, das ganze White Lady nannte und den Drink für Jahre als den letzten Schrei ausgeben konnte. Wenn man mich nun also fragt, warum der Zombie einer meiner absoluten Favoriten ist, dann nicht nur weil er für mich der Blueprint der Tiki-Cocktails ist. Sondern weil er für mich ein Statement der Mixologie ist, weil er Spaß und Spannung vereint und zeigt, wie genial manche Menschen sind. Und die Tatsache, dass dieser Drink heu Jahr schon 90 Jahre alt geworden ist, erfüllt mich mit Demut und Respekt.